Zugfenster und lasse die
Häuser an mir vorbeiziehen
Häuser an mir vorbeiziehen
wie bei einer Kamerafahrt.
Ich sehe sie so,
wie andere sie nicht
sehen;
wahrscheinlich sehen nicht
einmal ihre Bewohner sie
aus dieser Perspektive.
Zweimal am Tag bieten sich
mir für einen Moment Einblicke
in fremde Leben.
Irgendwie hat der Anblick
von Fremden, die daheim in
Sicherheit sind, etwas Tröstliches.
Erscheinungsjahr:
2015
Verlag:
blanvalet
Seiten:
446
Jeder,
der regelmäßig mit Bus oder Bahn zur Arbeit fährt, kennt es: man
starrt immer auf die gleichen Häuser, die gleichen Straßen,Wege und
Geschäfte. So geht es auch Rachel, die jeden Tag mit dem Zug nach
London pendelt. Ihre Lieblingsaussicht sind die Häuser in der
Blenheim Road. Dort wohnen auch Jess und Jason. Rachel sieht sie fast
jeden Tag, wie sie draußen auf ihrer Terrasse sitzen und Kaffee
trinken, wie liebevoll Jason seine Frau umsorgt und für sie sind die
beiden das perfekte Traumpaar. Natürlich weiß Rachel nicht ihre
wirklichen Namen, sie hat sie nie persönlich kennen gelernt, aber
sie erträumt sich gerne das absolut perfekte Leben des Paares. Es
ist genau das, was sie verloren hat. Vor zwei Jahren wurde sie von
ihrem Exmann für eine andere Frau verlassen, die beide zufällig nur
wenige Häuser entfernt von Jess und Jason wohnen. Als Jess eines
Tages spurlos verschwindet, prallen die Realität und Rachels
Traumwelt aufeinander und sie muss erkennen, dass unter der
Oberfläche der glücklich wirkenden Familie tiefe Abgründe warten
können und nichts so sein muss, wie es zunächst schien.
Die
Grundidee des Buches hat mich von Anfang an fasziniert, denn jeder
ist schon einmal mit Bus oder Bahn gefahren und hat dabei eventuell
sogar etwas beobachtet, was er nicht richtig einordnen konnte, weil
er die Gesamtsituation nicht kannte. Rachel geht es nicht anders,
doch sie interpretiert die Dinge, die sie sieht so, wie es ihr
gefällt und wie es am Besten in ihre Traumvorstellungen des Paares
passt. Andere Eventualitäten lässt sie einfach nicht zu und ihre
Vorstellungen sind ihre Wahrheit. Was ich ebenfalls sehr interessant
finde, sind die Charakterzeichnungen. Paula Hawkins präsentiert uns
keine Helden des Alltags, sondern Menschen mit Problemen und Sorgen.
Rachel ist Alkoholikerin, hat deswegen ihren Job verloren, trauert
immer noch ihrem Exmann hinterher und die einzige Freude die ihr
bleibt, sind ihre wunderschönen Lebensfantasien über fremde
Menschen, die sie nicht mal kennt. Das klingt jetzt alles sehr
bemitleidenswert und Rachel tut einem wirklich an vielen Stellen
einfach nur Leid, aber es gibt auch die Momente, wo man am liebsten
vor Scham im Boden versinken möchte, weil sie im Vollrausch mal
wieder ihren Exmann angerufen und ihn angefleht hat, zu ihr zurück
zu kommen. Das alles bessert sich allerdings, als Megan alias Jess
verschwindet. Die Geschichte wird abwechselnd aus der Sicht von
Rachel und Megan erzählt, wobei Megs Geschichte vor einem Jahr
beginnt und wir uns zum Ende des Buches immer mehr dem Tag nähern,
an dem sie verschwindet. Die Story hält dauerhaft eine gewisse
Grundspannung, die zum Ende hin stark ansteigt. Sicherlich kann man
als aufmerksamer Leser seine Schlüsse ziehen und eventuell auch den
Mörder schon früher benennen, dennoch hat mich das Ende in seinem
Ablauf sehr überrascht.
Fazit:
Eine
wirklich faszinierende Grundidee, entsprungen aus dem Alltag vieler
Menschen, eine durchgehend spannende Story mit unerwartetem Ende und
der Erkenntnis, dass unter der Oberfläche verborgene Dinge brodeln
können.
Ein
kleiner Kritikpunkt sind die zum Ende hin etwas übertrieben
dargestellten männlichen Charaktere.
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